Samstag, 16. September 2017

Gutes aus der Eifel



Dolomitfreuden in Gerolstein


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Eifler Gebietsindex


Das allgemeine Klettertreiben in den Eifler Gebieten folgt glücklicherweise leicht zu interpretierenden Trends. Vergleichen wir einmal die handvoll Möglichkeiten in der Eifel zu Klettern mit Aktien. Befindet sich die Trendkurve des einen Gebietes auf steilem Kurs nach oben, ist eine unaufhaltsame Talfahrt einiger Anderer vorprogrammiert. Einige Traditionsgebiete werden dann von „Langzeitanlegern“ frequentiert. „Do simmer immer schon jeklettert“ lautet das Motto einiger Dinosaurier der Szene. Die Trendbewegungen vollziehen sich in der Regel sehr langsam, meist über Jahre. Ebbt der Zustrom in einem bestimmten Gebiet erst einmal ab, kann auf einen erneuten Boom sehr lange gewartet werden.

Felssozialisation extrem

Diese Durchschaubarkeit kann sich jeder Kletterer seinen Vorlieben entsprechend zu Nutze machen. So kann nun derjenige, dem „Socializing“ oder „Sehen und gesehen werden“ wie es einst hieß, am Herzen liegt, sich Wochenende für Wochenende in den angesagten Szenegebieten verlustieren und den bekannten Gesichtern aus der Halle demonstrieren, dass man auch „Outdoor“ ist. Dieses Freizeitvergnügen setzt allerdings eine gewisse Stressresistenz voraus und avanciert somit zur besonderen Ausprägung einer Extremsportart.
Die prüfenden Blicke der Wohlgesonnenheit vorgaukelnden Kontrahenten im Rücken wissend wird der Onsight gleich erheblich schwerer, wenn er nicht eh durch spontane „Du musst in den Untergriff kreuzen!“- Zurufe zu Nichte gemacht wurde. Hat man es doch mal geschafft in einem Anflug von Kletterflow-Erlebnis die Welt um sich herum zu vergessen, wird man meist jäh durch ein „Come on Toni, geht schoa!“ oder „Schiggeding“ (je nach Angesagtheit der aktuellen Klettermovies) ins Hier und Jetzt zurück geholt.

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Das Projektieren von Routen gestaltet sich noch beschwerlicher. Denn abgesehen von Wartezeiten zwischen den einzelnen Versuchen, welche die Muskulatur auch bei 30°C im Schatten wieder erkalten lässt, wird man von Mitstreitern regelrecht auf Linie gebracht. Man hat noch nicht begonnen die Krux auszubouldern, da wird einem schon die einzig kletterbare Lösung nahe gebracht, so dass auch kein Zweifel bleibt, dass ein Probieren von möglichen Alternativen nicht nur als unhöflich sondern geradezu dreist empfunden würde. Immerhin dient das eigene Scheitern an der aufgezwungenen Zugabfolge dem guten Zweck das Ego des Ansagers ein wenig zu stabilisieren und aufzupolieren.

Apropos scheitern: Was das Szenegebiet noch als extrem auszeichnet ist die Tatsache, dass man sich nicht nur mit dem eigenen Erfolg oder Scheitern auseinander setzen muss. Man darf stets am emotionalen Zustand der anderen Vertikalsportler Teil haben. Geteiltes Leid ist halbes Leid und geteiltes Glück ist doppeltes Glück, so scheint das Motto zu sein. So ist es dann auch Usus alle Anwesenden mit regelmäßigem und lautstarkem Statusreport auf dem Laufenden zu halten. Ein lautes „Fuck!“ unterstreicht ausdruckstark die Verärgerung oder Verwunderung über das Scheitern in der Route, die man doch eigentlich locker beherrschen würde. Anschließend kann es nützlich sein einen detaillierten Bericht über die schlechten Bedingungen bis in den letzten Winkel des Gebietes dringen zu lassen. Ein lautstarkes „Yes!“ hingegen hebt den eigenen Erfolg in einem langen Projekt heraus und sorgt für ausreichend Anerkennung und Gratulation.

Solche Rituale in vollen angesagten Gebieten gäbe es noch zu Hauf zu schildern. Und auch ich kann mich nicht frei davon sprechen diese mit zu zelebrieren.

Die Kunst des antizyklischen Kletterns

Gerade dies ist der Grund, warum ich wieder mehr die Abgeschiedenheit und Ruhe am Felsen suche. „Antizyklische Gebietswahl“ nenne ich den Schlüssel zum Erfolg bei der Suche nach einsamen und ruhigen Tagen am  Fels, wo die Natur noch als eben solche wahrgenommen werden kann, weil es nicht zu geht wie am Swimming-Pool vom Hotel „Gran Paradiso“. So wie einige Gebiete der Eifel im Fokus der Klettermassen stehen, haben andere an Popularität verloren. Hierzu gehören derzeit auch die Gerolsteiner Dolomiten. Findet man unter der Woche Zeit dort zu klettern, werden einige wenige Wanderer, die erstaunt und beeindruckt kurz verweilen, die einzigen Menschen sein, die einem am Wandfuß begegnen.

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An Wochenenden muss man sich den Felsriegel schon mit einigen weiteren Seilschaften teilen. Es herrscht in der Regel eine lockere Atmosphäre. Nette Gespräche entstehen. Unabhängig von Schwierigkeit und disziplinärer Ausrichtung versteht man sich. Die einen kommen um Sportkletterrouten bis  zum unteren 10.Schwierigkeitsgrad zu klettern, während andere in alpinem Ambiente für ebensolche Unternehmungen Erfahrungen sammeln wollen.
Meint man nun, dass die Felsen von Gerolstein weniger zu bieten haben als ihre angesagten Konkurrenten, so liegt man meines Erachtens gänzlich falsch. Für mich ist die Hustley, so der Name des Massivs, ein zwar nicht sehr großes Gebiet, welches jedoch kaum Wünsche offen lässt. Hat man in der Touristeninformation Gerolstein oder an Wochenenden im Eiscafé „Dolomiti“ erst einmal sein Kletterticket für fünf Euro erworben, trennen einen nunmehr lediglich 10 Minuten Zustieg von den ersten Touren.

Hoch über Gerolstein in eifler Idyll liegt der Felsriegel mit provencialischem Flair. Die südseitige Exposition und die Wärme reflektierende Eigenschaft des Fels macht Klettern an sonnigen Tagen beinahe ganzjährig möglich. Es sind eher die Sommermonate an denen Klettern ob der geringen Fluchtmöglichkeiten vor der Hitze dem Besucher etwas Anpassungsfähigkeit abverlangt. Ab frühem Nachmittag kann man dann dem wandernden Schatten nach klettern.

Bis zu 30m lange Routen vom  2.-10. Schwierigkeitsgrad bieten sowohl dem Freund solide mit Bohrhaken abgesicherter Routen als auch Anhängern „preußischen Gedankenguts“ á la: „Bergtouren, die man unternimmt, soll man nicht gewachsen, sondern überlegen sein.“ Hier kann dann auch gerne  einmal der ein oder andere Keil oder Friend zum Einsatz kommen, wenn man dem alten, wackeligen Normalhaken noch nicht einmal mehr einen psychologischen Nutzen zuschreiben mag.

Eine besondere Freundschaft

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Die Kletterei findet vorwiegend an leicht geneigtem bis leicht überhängendem Dolomitgestein statt. Leisten und Löcher dominieren das bei Zeiten etwas versteckte Griffangebot. Leichtere Routen zeichnen sich oft durch dolomittypisch starke Strukturierung aus, wodurch auch senkrechtes Gelände mit gangbaren Vierern und Fünfern aufwartet. So zum Beispiel zieht sich der „Sonntagsweg“ (5) immer  den offensichtlichsten Strukturen folgend  25  Meter durchs Gemäuer und ist mit dem Begriff Felsfahrt sicherlich am treffendsten beschrieben.

Insbesondere in den oberen Graden formen sich häufig Untergriffe, Leisten und Fingerlöcher zu Kruxen, die so durchdacht erscheinen, dass man gar nicht glauben mag, dass die Natur sie so für uns gefertigt hat. Hierfür ein gutes Beispiel ist die „Freundschaft“(9), der Extremklassiker in Gerolstein. Eine schönere Linie in dem Grad kenne ich in der Eifel nicht. Breiter gefächert können die Fähigkeiten nicht sein, die potenzielle Aspiranten für diese Route im Gepäck haben müssen. Nach leichtem Gekraxel auf einen 5 Meter hohen Vorbau folgt man bei leicht überhängendem Gelände einer Henkelreihe senkrecht empor. Eine Querung an Fingerlöchern und Leisten auf, wie immer in Gerolstein, mäßig schlechten Tritten bringt einen zur ersten Krux. Die Statiker werden sich nun gezwungen sehen eine schlechte Leiste bis zum Bauchnabel zu fixieren. Die Meisten entscheiden sich jedoch für einen beherzten Dynamo an einen guten Aufleger. Alsbald folgen ein anderthalb Meter ausladendes Dach, an welchem der Hinweis „Bitte nicht hinauslehnen“ in Form eines der DB entwendeten und in einen kleinen Riß genagelten Schildchens vor die Wahl stellt sich ins Seil zu setzen oder die „Warnung“ augenzwinkernd zu ignorieren und die darauf folgende eigentliche Krux anzugehen. Nicht zuviel sei verraten, denn ein bisschen will ja noch selbst herausgefunden werden, aber wer diese Stelle bezwungen hat, sollte die Arme vor dem vermeintlich leichteren Gelände noch mal gut ausschütteln. Schon allzu viele Aspiranten wurden auf den letzten Metern noch um ihren Durchstieg gebracht und von der Freundschaft jäh abgeschüttelt.
Ausdauer, Fingerkraft und Präzision kann man nicht genügend mitbringen um einen Versuch in dieser Tour zu wagen.

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Auch ausgesprochen nett
Aber auch Routen in niedrigeren Graden bieten traumhafte Linien. So zum Beispiel das Risssystem vom „Radweg“ (5+/6-) oder eine wunderschöne 7- links der Hummelkante. Trotzdem diese Touren schon zu meinen Standards an einem Klettertag in Gerolstein gehören, entlocken sie mir beim clippen des Umlenkers immer wieder ein leises „Wow“.

Nach einem Topo in gebundenem Format suchte man früher erfolglos. Es war Gang und Gäbe Routeninfos mündlich auszutauschen. Was man wusste wurde weitererzählt,  was nicht, wurde erfragt. Und der Rest wurde probiert und diskutiert. Schwierigkeitsgrade unterlagen somit auch größeren Schwankungen. Ihnen wurde daher eine wesentlich geringere Bedeutung beigemessen. Die vermutetet Bewertung war lediglich ein Indikator dafür, ob man in eine Route einstieg oder es ehrfürchtig sein ließ.

Vielleicht hat eben dies auch dazu beigetragen, dass Gerolstein an Popularität eingebüßt hat. Denn auch im Klettersport spielen Leistung, Vergleich und eben Grade eine wichtige Rolle.
Bei entsprechender Recherche im Internet stößt man inzwischen auf einen liebevoll gepflegten, handgezeichneten, von privater Hand erstellten Topo. Auch dieser verspricht keine Vollständigkeit aber dient mit Sicherheit einer groben Orientierung für Gebietsneulinge. Und nicht der zuletzt erschienene Topo „Das beste im Westen“ gibt einen Überblick darüber, was man in Gerolstein klettern kann.
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Perfekte Versorgung

Zu guter Letzt sei erwähnt, dass wohl kein anderes eifler Klettergebiet eine so erstklassige medizinische Erstversorgung bietet. Das Gerolsteiner Krankenhaus befindet sich gerademal einen Dolomitsteinwurf entfernt der Hustley. Es sei jedoch zu hoffen, dass man sich lediglich des Vorteils bedient, an heißen Tagen kalte Erfrischungsgetränke am Krankenhauskiosk erwerben zu können.





Sonntag, 12. Juli 2015

Belgian Chocolate

Nur vom Feinsten in Freyr- Klettern, Pommes und Bier

„Belgien ist grau, meistens regnet es aber es gibt unglaublich leckere Pommes.“ So lautete einst mein vorgefertigtes Bild von unserem kleinen Nachbarland, welches ich lediglich von der Durchreise zumeist nach Fontainebleau kannte. 

Kann auch schön sein in Belgien!




Bis auf die leckeren Pommes musste ich meine Meinung nach meinem ersten Besuch des Klettergebietes Freyr komplett ändern. Abgesehen von den Felsen war nichts grau. Weder das malerische Städtchen Dinant direkt am Maasufer gelegen noch der herrlich grüne Wald, der sich die Hänge zum Flusstal hinunter zieht. Statt Regen gab es einen herrlich blauen Himmel, der kein Wölkchen duldete.  Stellte sich nur noch die Frage, was denn die Kletterei zu bieten hat. 

Al´Legne ein Alpinklassiker - nicht nur für Mutige
Freiwillig war ich zugegebener-
maßen nicht hier. Ich wäre doch viel lieber ins schöne Luxemburg gefahren. „Da weiß ich,  was ich habe“ waren meine Gedanken. „Und dort sind ja eh noch so viele Projekte zu klettern. Mehrere Seillängen klettern, das muss nicht sein?  Es geht doch um Schwierigkeitsgrade nicht um Länge!   Und die sollen doch in Belgien eher stramm sein! Und die Absicherung eher nicht so toll.“ Tatsächlich warnt schon der Topo von Marc Bott frei nach Asterix: „Ceasar hat gesagt, die Belgier sind die Mutigsten!“

Ob meine Einstellung oder Belgien für das kommende Desaster verantwortlich war weiß ich nicht, aber was dieser Klettertag dann bringen sollte, übertraf meine schlimmsten Befürchtungen. Schon die vermeintliche Aufwärmeroute zitterte ich auf für eine Kalkplatte unerwartet schlechten Tritten und flutschigen Griffen empor, während ich gedanklich vom „Schwerklettern“ Abschied nahm.   Ganz im Gegenteil wollte ich den Grad der nächsten Route noch mal nach unten korrigieren und machte mich an einer 5c Rissschuppe zu schaffen. Beim zweiten Haken, der nicht gerade niedrig steckte, war ich physisch und psychisch völlig erledigt, keuchte und kämpfte, dachte bei mir „Ein Königreich für einen Keil“, schmierte weiter auf nicht existenten Tritten herum um mir schließlich ein resignierendes „Mach zu!“ abzuringen und diesen Klettertag wieder am Boden angekommen grummelnd zu beenden. Den restlichen Tag „genoss“ ich den grünen Wald, den blauen Himmel die Maas und Pommes, welche mit einem tröstenden Hoegaarden-Bier runtergespült wurden.  

„Freyr, niemals wieder!“ war mein Fazit dieses desaströsen Tages. Und folgerichtig ließ der nächste Besuch lange auf sich warten. Warum ich diesem Gebiet eine zweite Chance einräumte weiß ich gar nicht mehr. Wahrscheinlich, weil ich Luxemburg inzwischen doch zu oft besucht hatte und sich die ehemaligen Projekte zu Ex-Projekten oder zu „Werd-ich-niemals-klettern-können-Projekten" verwandelt hatten.
Mein zweiter Besuch war zwar auch ereignisreich, hinterließ jedoch einen völlig gegenteiligen Eindruck. 

In dem Wissen, dass man direkt am Gebiet biwakieren kann, waren wir für ein ganzes Wochenende angereist. Samstags früh los zu fahren, so war der Plan, der trotz eines langen Kneipenabends in die Tat umgesetzt wurde. Mit der Konsequenz jedoch, dass auf dem Freyrer Parkplatz angekommen erst einmal der Müdigkeit nachgegeben werden musste. Erst gegen Nachmittag war diese endgültig überwunden. Das Fazit ziehend, dass vor Klettertrips entweder weniger gefeiert oder länger geschlafen werden müsste, machten wir uns endlich auf den Weg den angenehmen Zustieg talwärts auf uns zu nehmen. 

Wie Rippen ziehen sich die einzelnen Sektoren vom Hochplateau zum Maasufer hinunter. Dabei erreichen sie Wandlängen bis 100 Meter. Der  „Tête de Lion“ ragt sogar in den Fluss hinein. Auf einem schmalen betonierten Steg kann man auch diesen Felsen passieren. An heißen Klettertagen ist es eine Wonne zwischendurch Gurtzeug durch eine Badehose zu ersetzen und ein erfrischendes Bad in der Maas zu nehmen.ochplateau
Moderat in den alpinen Klassikern...
Wir statteten dem Sektor Jeunesse einen Besuch ab. Viele Routen vom 4. bis zum 7. französischen Grad warten hier auf Wiederholer. Der Fels ist stark strukturiert und löchrig. Die Routen sind zumeist leicht geneigt bis leicht überhängend. Kleingriffige und technisch anspruchsvolle Sequenzen bilden die Schwierigkeiten. Lediglich die Routen „Welcome to the machine“ 7a und „Hercule Poivrot“ 7a+ ziehen athletisch durch einen Überhängenden Wandteil.

Das Klettern klappte hervorragend. Die Routen gefielen uns ausgesprochen gut. Die vielen bis zu 30 Meter langen Routen zwischen 6a und 6c sind traumhafte Linien und werden ihren Graden gerecht. So zum Beispiel „Les negresses verts“ 6a, welche die Kruxpassage auf den ersten 8 Metern bereithält, aber anschließend kontinuierliches Dranbleiben in gutgriffigem aber überhängendem Fels verlangt. 

Glücklicherweise klärt sich auch der Hakenmythos. Die Absicherung der Routen empfinden wir immer als vernünftig, sehr selten als schlecht aber auch nie als übertrieben. Man kann sagen, dass man dem Grad gewachsen sein sollte. Bei alten Routen, wie beispielsweise „La Grunne“ aus den 30ern kann das Legen eines mobiles Sicherungsgerätes schon mal ein allzu alpines Gefühl verhindern.

Alles korrekt?
Der zweite Teil des Nachmittages führt uns zum Sektor „Le Pape“. Hier so wie auch an seinem benachbartem Massiv Al`Legne befinden sich sowohl schwerste Sportkletterouten bis 8c, sowie auch klassische und moderne Mehrseillängen. 
 Zwischen „Samarkande“6c und „Les pavés du nord“6c klettern wir diverse  Routen die zunehmende Erschöpfung ignorierend hintereinander weg. Die meisten befinden sich in den Graden 6a und 6b. Tolle Bewegungen verlangt der Fels einem ab um die technisch anspruchsvollen und kräftigen Schlüsselpassagen zu überwinden. Als die Arme gar nichts mehr ziehen mochten, die Finger keinen Griff mehr festhalten konnten und die Füße nur bei dem Gedanken an das enge Schuhwerk schmerzten hieß es als letzte sportliche Leistung des Tages die hundert Höhenmeter nun zu Fuß  zu überwinden. Hierbei vergisst man gerne mal die schönen vergangenen Stunden beginnt über die Steilheit des Weges, das Gewicht des Rucksacks und natürlich über die schmerzenden Füße zu fluchen. Ist diese Hürde jedoch geschafft warten im „Chamonix“ direkt am Parkplatz eben die leckeren belgischen Pommes Frites, mit einer Riesenauswahl an Saucen und einer noch größeren an belgischen Bierspezialitäten, ebenso wie typische Desserts wie den bekannten „Gauffres“ (Waffeln). 

Hier kann man sich wirklich für tolle Kletterleistungen belohnen oder für einen schlechten Klettertag entschädigen. Einen Grund findet man auf jeden Fall seinen Abend im „Chamonix“ zu verbringen um anschließend sein Zelt  auf der Biwakwiese aufzuschlagen. Für die Nutzung der Wiese, sowie der sanitären Einrichtungen des „Hotel Merinos“, so wie die Hütte des belgischen Alpenvereins sich nennt, entrichtet man bei Jean Bourgoise, der als eine Art Hütten- und Gebietswart fungiert einen Obolus von zwei Euro pro Übernachtung. Vorraussetzung für das Klettern sowie für die Nutzung der Biwakwiese ist die Mitgliedschaft in einem Alpenverein.

Die Kruxseillänge der Al´Legne
Am Sonntag beschlossen wir ob der vorhandenen Möglichkeiten und trotz der nicht vorhandenen Vorbereitung eine Route die im Topo mit vier Seillängen und dem Grad 6a angegeben war zu klettern. „La Diretissima“ lautete ihr Name welcher uns direkt in alpinste Stimmung versetzte. Nur mit Kletterkram und einem kleinen Rucksack bewaffnet stiegen wir parallel zum Sektor Al´Legne zum Maasufer hinunter. Am Einstieg angelangt warteten schon drei Seilschaften auf ihre Gelegenheit die gleichnamige Route einzusteigen, welche sich in 6 Seillängen um den Bug des Felsens schlängelt. Im Jahre 1933 wurde „Al´Legne“ von Graf Xavier de Grunne mit Hilfe von 8 Kompagnons darunter König Albert und Prinz Leopold als erste Kletterroute auf dieses Massiv eröffnet. Nur zwei Jahre später wurde „La Diretissima“ mit selbst hergestellten Haken und um den Bauch gebundenen Hanfseilen in dicken Stiefeln geklettert. Mit Freikletterstellen von 5c und 6a kann diese von enormer Kühnheit zeugende Tat in dieser Epoche als alpinistisches Meisterstück betrachtet werden.

Ob des Staus am Einstieg lautete die Devise erst einmal Zeit totschlagen. Der Untätigkeit fiel auch der Großteil unseres kleinen Getränkevorrats zum Opfer.
Als eine gute Stunde später auch wir uns zu rüsteten begannen schauten uns die letzten belgischen Seilschaften fragend an. „Keine Helme, keine Keile?“ stand in ihren Gesichtern zu lesen. „Waren wir nicht drauf vorbereitet!“ war wahrscheinlich nicht in unseren Gesichtern zu lesen. Trotzdem hielten wir das Risiko für tragbar.

Kalimero und Kalimera
Wir stiegen ein. Da der erste Stand schon nach 10 Metern auftauchte und mit 8 Kletterern mehr als überfüllt wirkte, beschloss ich direkt zum zweiten zu klettern, den ich auf einem Absatz ca. 15 Meter über mir vermutete. Leider war hier kein eingerichteter Standplatz zu entdecken, also ging die Reise weiter. Die mitgenommenen Expressschlingen wurden weniger, die ausgegebenen Seilmeter hingegen mehr. Als ich einen Standplatz entdeckte war ich bereits dabei, durch konsequentes auf und ab klettern das jeweils vorletzte Päarchen zu bergen um es als nächstes zu verbauen. Dies schien die beobachtenden Belgier in ihrer Einschätzung unserer Seilschaft mehr als zu bestätigen. Endlich am Stand angekommen holte ich Isabelle nach. Ebenfalls am Stand angekommen vertraute sie mir an, dass ihr inzwischen nicht mehr ganz so wohl bei der Sache war. „Lass uns umkehren.“ War ihre Bitte. „Okay“ sagte ich, „hast Du einen Achter dabei?“ Ihre Verneinung und die daraus entstehende Konsequenz, dass nur ein Weg aus der Tour führt, nämlich nach oben, bestätigte nun auch uns, dass die Belgier nicht ganz falsch lagen mit ihrer Einschätzung.

Ein kühles Bad wäre auch nett gewesen!
Die Lage entspannte sich zunehmend und wir genossen die Kletterei hoch über der Maas mit Blick auf des Schloss Freyr und das gute Wetter.
Kurz vor dem Ausstieg der Route fand ich mich vor einer überhängenden Verschneidung wieder, aus der ich auf das Gipfelplateau manteln sollte. Die letzte Sicherung befand sich gefühlte 5 Meter unter mir. Diese Situation holte mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Realisierend, dass die Kommunikation zum unteren Stand schwer eingeschränkt war, malte ich vor meinem inneren Auge eine aufs äußerste konzentrierte Sicherungspartnerin aus und schwang mich nicht schön aber effektiv auf den Gipfel, hakte mich in den großen Standring und atmete tief durch.

Mist - Schuhe am Einstieg vergessen!
Nahezu zeitgleich tauchte der erste Belgier aus der Al´Legne neben mir auf und fragte mich mit großen Augen „Trés difficile?“(TD die klassische Bewertung der Route) „Äh, oui!“ Zu mehr Konversation war ich gerade kaum im Stande, freute mich aber innerlich über die offensichtliche Anerkennung.

Inzwischen kann ich meine Freyrbesuche kaum mehr zählen. Wenn Belgien nicht grau und verregnet vorhergesagt ist, und ich zwei Tage übrig habe, nehme ich die zweieinhalb Stunden Fahrt sehr gerne auf mich, um an der Maas Sportklettern, einen Hauch von alpinem Klettern, Zelten, Pommes frites und Hoegaarden zu genießen. Die Vielfältigkeit, gepaart mit der Entspanntheit die es dort zu erleben gibt macht es zu einem wichtigen Klettergebiet für Kletterer aus dem Rheinland.


Einkehr:  Das beschriebene "Chamonix" ist nun 
          eine wild bewachsene Wiese. Für 
          Ersatz sorgt die Friture "La Cobeli"

Topo:     Freyr - Marc Bott und Ruben Beckers
          Auflage 2014 
          Erhältlich in "La Cobeli"
                                  

Bildergebnis für topo freyr 2014 marc bott